Die Geschichte des Jareker Gemeindehauses

In einer Sitzung der serbischen Regierung wurde das Jareker Gemeindehaus zu einem Kulturdenkmal erklärt als Beispiel der neo- romantischen Kulturepoche, die für den Beginn des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist. Es ist eines der seltenen architektonischen Zeugnisse der kulturellen Geschichte und des ehemaligen Lebens der deutschen Volksgemeinschaft in der Vojvodina. Erbaut wurde es im Jahr 1904 von Anton Diener und seinem Schwager Adam Niefer, zwei Jareker Baumeistern, die auch die anderen prachtvollen Querhäuser in der Hauptstraße, der Spitalgasse, der Wassergasse und der Kreuzgasse in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg erbaut haben. (siehe www.hog-jarek.de/ die Jareker Häuser).

Ansichtskarte des Gemeindehauses einige Jahre nach der Erbauung als Jarek noch Tiszaistvanfalva hieß.

Bilder des renovierten Gemeindehauses 2021

Architekturzeichnung von 2014, die für die geplante Renovierung angefertigt wurde

Das Gemeindehaus besteht aus zwei Flügeln, die mit einem langen Gang und dem dahinterliegenden großen Sitzungssaal verbunden sind. Im linken Flügel befanden sich die Amtsräume der Gemeindeverwaltung und des Gemeinderichters (Bürgermeisters), im rechten Flügel zur Kreuzgasse hin lagen die Räume des Notars. Hinter dem Zaun zur Straße war ein kleiner Garten.
In den Jahren seit der Erbauung hat sich das Äußere des Gemeindehauses mehrfach verändert. Das erste uns bekannte Nachkriegsphoto stammt aus dem Jahr 1964, als sich die ersten Jareker nach der Flucht wieder ins Dorf wagten. Hier sieht man den linken Flügel mit großen Schäden am gelben Putz und am Mauerwerk. Als wir zum ersten Mal mit einer Gruppe Jarek im Jahr 2005 besuchten, war es sehr schön renoviert, gelb gestrichen und die Verzierungen um die Fenster waren weiß. So sieht es heute wieder aus. In den Jahren dazwischen war es grün gestrichen.

Linker Flügel des Gemeindehauses im Jahr 1964

Im Laufe seiner über hundertjährigen Geschichte hat dieses Haus und damit das Dorf verschiedene Epochen erlebt. Zur Zeit seiner Erbauung gehörte Tiszaistvanfalva zum Königreich Ungarn. Die Amtssprache war also ungarisch. Nach dem 1. Weltkrieg zerfiel der Vielvölkerstaat der Habsburger Donaumonarchie und die Süd-Batschka wurde dem Königreich der Serben Kroaten und Slowenen zugeteilt. Aus Tiszaistvanfalva wurde Jarek (Backi-Jarak) mit der Amtssprache Serbo-Kroatisch. Natürlich musste jetzt auch im Gemeindehaus diese Sprache offiziell verwendet werden, und das war für alle Menschen eine gewaltige Herausforderung. Elf Jahre später entstand das Königreich Jugoslawien. Während des 2.Weltkriegs wurde 1941 gemäß den Wiener Verhandlungen die Batschka wieder Ungarn zugesprochen. Der Ort wurde am Ostersonntag 1941 kampflos von ungarischen Einheiten besetzt. Die Jareker hatten, wie fast überall in den deutschen Gemeinden der Batschka erwartet, dass deutsche Truppen in die Batschka einziehen würden, nachdem am 6. April schon Hitlers Heer im Balkanfeldzug Griechenland und Jugoslawien angegriffen hatte. Daher wurden die ungarischen Truppen gar nicht bejubelt und als Befreier begrüßt, was der Jareker Gemeindeverwaltung bei jeder Gelegenheit ungarischerseits vorgehalten wurde. Zu Übergriffen der Ungarn kam es in Jarek nicht, es gelang dem deutschen Gemeinderichter Nikolaus Schurr sogar, bei der Errichtung der ungarischen Hoheitsverwaltung die Beibehaltung des bisherigen Verwaltungspersonals durchzusetzen. Verkehrssprache im Gemeindeamt blieb Deutsch, die Beamten verfassten die Eingaben in Ungarisch. Aus Jarek wurde wieder Tiszaistvanfalva. Bereits am 17.April kapitulierte Belgrad und der offene Krieg wurde in verlustreichen Partisanenkämpfen gegen deutsche Soldaten und später auch gegen die Donauschwaben in ihren Dörfern fortgeführt. Es kam in Jarek zu keinen Übergriffen der Partisanen, anders als in anderen donauschwäbischen Dörfern z. B. in Srem. Der Jahrgang 1920 wurde von den Ungarn gemustert und eingezogen. Die folgenden Jahrgänge taten Dienst im deutschen Heer. In den Jahren darauf gab es immer wieder Einquartierungen von deutschen und ungarischen Soldaten, aber sonst blieb das Leben im Dorf ziemlich ruhig, während an allen Fronten der Krieg tobte. Die Todesnachrichten über gefallenen Söhne und Väter häuften sich, und die Jareker blickten mit großer Sorge in die Zukunft bis zum Herbst 1944. Sie hatten die Ernte eingebracht und alle Speicher und Keller waren gefüllt. Die Front im Osten Jugoslawiens brach zusammen, die deutschen Soldaten waren auf dem Rückzug und kamen durch das Dorf, während die russischen Verbände auf dem Vormarsch waren und immer näher kamen.
Im Jareker Gemeindehaus befand sich ein deutsches Militärkommando. Dessen Befehlshaber, ein Oberst Böhme, machte die Ortsbehörde rechtzeitig auf die kritische Lage und auf die Gefahren für Leib und Leben im Falle eines Verbleibens im Heimatort aufmerksam. Er befahl die Evakuierung. So kam es im September 1944 zu einer systematischen Vorbereitung der Flucht und zu einem einigermaßen geordneten Ablauf der Evakuierung. Sie erfolgte am 7.und 8.Oktober 1944. 300 Pferdewagen verließen am 7.Oktober 1944 den Ort unter Leitung des Gemeinderichters Nikolaus Schurr als Treckführer. Am 8. Oktober folgten weitere 140 Wagen unter Leitung von Johann Schollenberger. Lehrer Wilhelm Heinz begleitete die Leute ohne Fuhrwerke, die vom Militär mit Lastwagen auf ein Donauschiff gebracht wurden. Fast alle der rund 2000 Bewohner verließen das Dorf und machten sich auf den entbehrungsreichen Weg in das zerbombte Deutschland. Das Kapitel der Deutschen in der Batschka ging zu Ende.(siehe: www.hog-jarek.de /Die Flucht)
Partisanen kamen jetzt ins Dorf und eine Schreckensherrschaft setzte ein. Schon zwei Monate später übernahmen sie die Herrschaft im Gemeindehaus und richteten im menschenleeren Dorf ein Vernichtungslager für die zurückgeblieben Donauschwaben aus den umliegenden Dörfern ein. Am 3. Dezember kamen die ersten Menschen aus Budisava. Bis zur Auflösung des Lagers an Ostern 1946 wurden im Gemeindehaus Sterbelisten geführt, die vor einigen Jahren aufgetaucht sind. Darin sind mehr als 6500 Namen verzeichnet.(www.hog-jarek.de/DasLager) Ein Gedenkkreuz, das an diese Lagertoten erinnert, wurde nach langen Jahren zähen Ringens im Jahr 2017 in der Nähe des neuen Friedhofs vom Bundesverband der Donauschwaben errichtet und unter großer Beteiligung von Nachkommen der Lagertoten und der heimischen Bevölkerung eingeweiht.
Im Jahr 2010 konnte die HOG Jarek im Gemeindehaus eine Tafel enthüllen, die an die 156 jährige deutsche Besiedlung des Dorfes erinnert. Diese Tafel in dem neu renovierten Haus, das Kreuz und das wunderschöne, denkmalgeschützte Haus selbst werden die Erinnerung an die Donauschwaben einige Zeit wach halten, auch dann, wenn keiner mehr aus der Erlebnisgeneration am Leben sein wird.
Inge Morgenthaler, HOG Jarek